Heute müssen wir mal Tacheles reden. Denn: „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist Scheiße!“ (Jan Böhmermann). Fast jede Woche kommen neue Themen und Skandale ans Licht – genug, um ein ganzes ZDF-Magazin Royale zu füllen. Auch die MCS Sachsen hatte dort für einige Minuten ihren Auftritt. Das wäre dem FESTEFREIE-Blogteam längst einen Beitrag wert gewesen, aber manchmal verschlägt es auch uns vollkommen die Sprache. So zum Beispiel, als der MDR in einem Rundschreiben seine Stellungnahme zu einer Presseanfrage des ZDF-Magazin Royale zum Besten gab. Nachdem wir die gelesen hatten, waren wir alle erstmal urlaubsreif.
Denn entweder haben die ver.di-Freien der MCS Sachsen während der letzten 20 Jahre in einem Paralleluniversum gearbeitet, oder die MDR-Stellungnahme speist sich aus sogenannten alternative facts. Hier einige Beispiele:
Auf die Frage, ob es stimme, dass die Honorarentwicklung der freien Mitarbeiter der MCS bei weitem nicht die Inflation ausgleiche, und ob der MDR die Bezahlung der Freien für angemessen halte, heißt es wörtlich:
Diese Darstellung können wir so nicht nachvollziehen. (…) Die freien Mitarbeitenden verhandeln ihre Honorare seit Jahren selbst und haben ihre individuellen Honorare in den zurückliegenden Jahren deutlich entwickelt.
MDR-Stellungnahme vom 3.11.2022
Nach einer spontanen Umfrage im Kollegenkreis steht nun fest: Geheimagenten haben weite Teile der freien Belegschaft offenbar geblitzdingst, denn niemand kann sich an erfolgreiche eigene Honorarverhandlungen erinnern. Fakt ist: Bei den uns bekannten Freien der MCS Sachsen wurde das Honorar von 1999 bis 2015, also während eines Zeitraums von 16 Jahren, genau einmal erhöht, nämlich 2015 um 4,8 Prozent. Danach folgten Erhöhungen 2020, also pünktlich nach Beginn des Engagements des Vereins FairTV e.V. um 3,7 Prozent, sowie 2021 nach einem achttägigen Streik in der Kälte und Abschluss des Tarifvertrags um vier Prozent.
Insgesamt stiegen die Honorare also, dank massivem Druck durch FairTV e.V und ver.di um insgesamt 13,1 Prozent, jedoch nicht, wie vom MDR angegeben, in sieben Jahren, sondern in einem Zeitraum von 23 Jahren. Der MDR nennt das eine „deutliche Entwicklung der Honorare“. Leider hat sich auch die Inflation in diesen 23 Jahren deutlich entwickelt, nämlich um über 39 Prozent. Die „erfolgreiche Entwicklung“ der MCS-Honorare beträgt also lediglich ein Drittel der Inflationsrate. Das heißt: Jeder dieser Mitarbeiter müsste eigentlich derzeit mindestens 23 Prozent mehr verdienen, um nicht weniger Kaufkraft zur Verfügung zu haben als 1999. Das spiegeln auch die Tarifabschlüsse für die Gehälter im Rundfunk wider, die laut ver.di allein für die letzten zehn Jahre bei fast 30 Prozent Steigerung lagen.
Aber solche Steigerungen, so hat die MCS seit jeher deutlich gemacht, seien mit dem MDR nicht zu machen. Der zahle eben nur das für eine Schnittschicht, was er nun einmal zahle, und keinen Cent mehr. Viele MCS-Freie kennen dieses Argument in- und auswendig, so oft haben sie es sich von der MCS-Führungsetage schon anhören dürfen. Dennoch heißt es in der MDR-Stellungnahme auf die Frage, ob es zutreffe, dass der MDR der MCS keinen finanziellen Spielraum für die Erhöhung der Personalkosten im Sinne einer besseren Bezahlung und sozialen Absicherung der freien Mitarbeiter ließe:
Eine solche Aussage eines einzelnen Mitarbeiters können wir nicht nachvollziehen.
MDR-Stellungnahme vom 3.11.2022
Eine kurze Umfrage unter den freien Kollegen ergab: Die Mehrheit aller Freien erinnert sich konkret an Aussagen von MCS-Führungskräften, die MCS Sachsen könne ihre Honorare nicht weiter erhöhen, weil der MDR nicht mitziehe. Auch Vertreter von ver.di und FairTV e.V. können solche Aussagen bestätigen. Weiter heißt es:
Die oben angeführten Leistungen (lineare Honorarsteigerungen, Abschluss Tarifvertrag mit zusätzlichen Leistungen sowie außertarifliche Leistungen, wie die Corona-Prämie) haben die Honorarhöhen der freien Mitarbeitenden deutlich entwickelt – das widerspricht dieser Darstellung.
MDR-Stellungnahme vom 3.11.2022
Diese Formulierungen sorgen bei vielen freien Mitarbeitern für besonderen Unmut. Hier schwingt der Eindruck mit, die Corona-Prämie sei als freiwillige außertarifliche Leistung gezahlt worden. Doch in Wirklichkeit hatte sich die Arbeitgeberseite lange und hartnäckig dagegen zur Wehr gesetzt, mit den freien Mitarbeitern überhaupt in Verhandlungen zu treten. Nur nach einem tagelangen Streik und schwierigen Tarifverhandlungen kam es überhaupt zu einem Abschluss:
Die Behauptung, dass ‚außerdem‘ eine Corona-Prämie gezahlt wurde, ohne zu erwähnen, dass wir für die harten Verhandlungen die Geschäftsführung erst einmal acht Tage lang an den Verhandlungstisch streiken mussten, regt mich auf!
Freier Mitarbeiter der MCS Sachsen
Großes Unverständnis herrscht bei den befragten Freien auch über die Reaktion des MDR auf die Frage, inwiefern sich der MDR mit den Arbeitsbedingungen bei seinen technischen Dienstleistern auseinandersetze. Hierzu schreibt der MDR:
In den Tochtergesellschaften gibt es selbstverständlich auch regelmäßige Gespräche zu den Arbeitsbedingungen.
MDR-Stellungnahme vom 3.11.2022
Unsere spontane Freien-Umfrage ergab etwas anderes: Kein einziger der befragten freien Mitarbeiter kann sich daran erinnern, von der Geschäftsführung der MCS Sachsen zu einem Gespräch über die Arbeitsbedingungen im Unternehmen eingeladen worden zu sein. Auch bei großen Teilen der Firmenkommunikation wie Newslettern der MDR Media, Rundmails der MCS, Einladungen zu Betriebsfeiern, wie zum Beispiel dem Sommerfest des MDR, bleiben die Freien außen vor. Und auch die Infoveranstaltung zur MCS-Fusion durch Geschäftsführer der vier Firmen war ausdrücklich nicht für Freie gedacht. Erst auf Druck von ver.di wurde die Veranstaltung als Teams-Konferenz nachgeholt. Respekt für Freie sieht anders aus.
Der MDR will von alledem nichts wissen. Es gebe auch keine durch Outsourcing, mit dem Ziel der Kostenersparnis, entstandenen prekären Arbeitsbedingungen, so lautet das Dementi:
Wir weisen Ihre Behauptung zurück, es gibt in den Tochterunternehmen des MDR keine Beschäftigungsverhältnisse mit ‚prekären‘ Arbeitsbedingungen.
MDR-Stellungnahme vom 3.11.2022
Was sind prekäre Arbeitsbedingungen? Zählen dazu bereits fehlende Wertschätzung, mangelnde Kommunikation und ein frostiges Betriebsklima? Zählen dazu die Verweigerung sozialer Absicherung, wie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder stagnierende Honorare? Zählt dazu, wenn Mitarbeiter zum Beispiel nur selten in den Urlaub fahren oder krank zur Arbeit kommen, weil sie in der Zeit sonst kein Geld verdienen würden?
Wir brauchen wirklich Urlaub!
Das FESTEFREIE-Blogteam meint: Prekäre Arbeitsbedingungen herrschen in jedem Fall überall dort, wo geltendes Recht zum Nachteil der Mitarbeiter nicht eingehalten wird. Die uns bekannten arbeitnehmerähnlichen freien Mitarbeiter der MCS Sachsen bekamen jahrzehntelang keinen Urlaub, bis zum Jahr 2020; den Rechnungsstellern wird der ihnen gesetzlich zustehende Mindesturlaub sogar bis heute ohne jede Begründung verwehrt. Im Bundesurlaubsgesetz steht klar und deutlich, dass alle arbeitnehmerähnlichen Freien Anspruch auf Urlaub haben. Eine Entschädigung oder rückwirkende Gewährung der bis 2020 entgangenen Urlaubsansprüche wurde den Mitarbeitern nicht angeboten. Erst kürzlich hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass Urlaubsansprüche nicht automatisch verfallen oder verjähren.
Wir vom FESTEFREIE Blogteam finden, dass dies ein guter Anlass für eine weitere MDR-Stellungnahme wäre, denn da herrscht für die freien Mitarbeiter momentan enormer Klärungsbedarf. Und da das Verfassen einer Stellungnahme oftmals leichter von der Hand geht, wenn konkrete Fragen vorliegen, helfen wir gerne mit:
Haben MCS und MMG vor dem Jahr 2020 ihren arbeitnehmerähnlichen freien Mitarbeitenden Urlaub gewährt?
Wird freien Mitarbeitenden von MCS und MMG, die für ihre Leistungen eine Rechnung stellen, derzeit Urlaub gewährt?
In welcher Form werden eventuell ausstehende Urlaubsansprüche der arbeitnehmerähnlichen freien Mitarbeitenden von MCS und MMG abgegolten?
Wir sind gespannt!
Euer FESTEFREIE-Blogteam